Die meisten hier ausgestellten Bilder von Erdmute Blach sind reine Malerei sui Generis. Das irritiert besonders den Kenner ihres breit gefächerten Œuvres. Weiß er doch, dass sie ihr künstlerisches Wollen nicht auf die werkprägende Gattung, denn das ist die Malerei, reduziert. Sie sucht gattungsübergreifende Berührungen.
Da wäre das Medium Künstlerbuch zu nennen, in dem sie sich grafisch und malerisch souverän auf Literatur z.B. von Friederike Mayröcker oder Musik von John Cage bezogen hat. Darüber hinaus riskiert sie gern den malerischen Prozess auch außerhalb ihres Ateliers. Wobei ihr Atelier seit den letzten Jahren nicht mehr an einen Ort gebunden ist. Nein, nicht dass sie neuerdings der Plenair-Malerei frönen würde und im Hafen oder an den Fischteichen des Hütter Wolds mit der Staffelei steht. Sie weilte in den letzten zwei Jahren als Gastkünstlerin in Portugal und Schweden, stellte dort aus, und sie wird auch 2015 wieder in einem Atelier in Estremoz auf Wunsch der niederländischen Stiftung Obras malen. Das Risiko der aushäusigen malerischen Bewegung geht jedoch über das mehr oder weniger behütete Dasein einer Atelierhaus-Stipendiatin hinaus. Das ahnt jeder, der die Einladungskarte zur heutigen Eröffnung erhalten hat. Angekündigt ist, Sie wissen es längst, verehrte Gäste, für den 27. Mai die Aufführung der Komposition „hunt“ von Sven Daigger. Die Kamerata Artika unter dem Dirigat von Alessandro Palumbo wird am Overhead-Projektor von Erdmute Blach malerisch begleitet. Dem 10-minütigen Stück für Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello und Klavier aus dem Jahr 2013 ist in der Ankündigung das Adjektiv „hunting“ vorangestellt. Ein Wortspiel, so viel ist sicher, dessen geheimnisvoller Sinn sich Ihnen und mir erst während der Aufführung erschließen wird.
Sven Daiggers Komposition hier aufzuführen ist verdienstvoll. Hat er doch in Rostock und nach dem Weggang von Adriana Hölszky nach Salzburg auch dort studiert. Zur Zeit bei Wolfgang Riehm in Karlsruhe, ist das Stück, unter dessen Fittichen, fast genau vor einem Jahr, uraufgeführt worden. Aber es gibt auch eine Nahdistanz zur Ausstellung selbst, denn Erdmute Blach zeigt zwei Referenzbilder, die im Resonanzraum der Erinnerung an das gehörte Stück „Strom“ von Sven Daigger entstanden sind. „Drehpunkt Kultur“ reflektierte die Uraufführung mit den Worten: „In einem großen Zug und Schwung floss, brauste und schwoll […] Sven Daiggers „Strom“ für Flöte, Klarinette, Klavier und Violoncello […] der mal an der Oberfläche rhythmische Kapriolen mit weißen Wellenkrönchen zu schlagen, dann wieder mehr „von unten“ verhaltene Impulse nach oben zu schicken schien. Scherzo-artige Momente, ja sogar gelegentlich durchschimmernde Erinnerungen an eine „romantische“ Klangsprache zogen ebenso vorüber, wie markant fordernde oder sanft federnde Rhythmen.“ Das Diptychon von Erdmute Blach bewahrt eine eigene Sprache – die des Bildes. Während das linke Werk explosionsartig das Rot aus einem Tiefenraum an die Bildoberfläche schleudert, birgt das rechte Bild die zarte Polyphonie gebrochener Leuchtkraft und seriell anmutende Konturen. Gerade der angesprochene Raumsinn in der Diagonale und die changierende Aufteilung vom Dunklen ins Helle wirken wie ein bildkompositorischer Nachklang zu Daiggers Stück. Das ausgedehnte Pizzicato im ruhigen Finale hat im feinen Lineament des Weißgrau eine Entsprechung gefunden. Eine notierte Spur, die man getrost auch als Auftakt nehmen kann, um das Bild von vorn nach hinten erneut zu lesen. Das, was eine notierte Komposition nicht zulässt, stellt in der Malerei kein Problem dar. Denn in der Malerei ist die Chronologie der Bildentstehung für die Betrachtung nicht von Belang. Wir begegnen dem Bild als zeitliches Kontinuum, vergleichbar dem Snapshot einer Tonspur.
Erdmute Blach, die während des Malens nie Musik hört, schafft in ihrer bildkünstlerischen Bezugnahme auf eine Komposition etwas, was nur das konzentrierte Hören auslösen kann und das anschließende Lösen vom unmittelbaren Klangeindruck verlangt. Die geistig-aktive Aneignung, die ungeteilte Aufmerksamkeit sind grundsätzliche Voraussetzungen dafür, die eigene Klangsprache der Farben zu suchen und zu finden. Denn mit ihrer Klangvorstellung im Kopf weiß sie sich allein und behauptet sich im Atelier immer wieder neu mit diesem einsamen Selbstverständnis einer bildenden Künstlerin.
Gestatten Sie mir nun auf zwei Werkreihen einzugehen: eine vierteilige mit der sich Erdmute Blach auf die 1993 entstandenen „Klangwaben“ für Violine solo von Adriana Hölszky bezieht. Ausgangspunkt der Komponistin war eine wissenschaftliche Studie über Bienensignale: über die Laute junger Königinnen, die noch in ihren Zellen eingeschlossen sind und die Laute derjenigen, die schon geschlüpft sind. Bemerkenswert, die reduzierte, raue und reibende Klangsprache des Stücks, das ein gedehntes, tickendes, behutsam verklingendes Ende besitzt. Erdmute Blach wählt eine Bildentwicklung in vier Stadien, die vom beklemmenden, verstellten Bildraum zu einer immer fluider, dynamischer werdenden Bildoberfläche führt.
Die auf den Höreindruck der 17-minütigen Komposition von Jörg Widmann „Sphinxenklänge und Rätselkanons“ bezogene Werkreihe von Erdmute Blach entstand in jüngster Zeit. Ihre malerischen Abstraktionen, besonders der Kontrast zwischen den Raum bildenden, changierenden, gewischten Flächen und den präzisen, harten Formen fungieren als Pendant nach dem Gehörten. Der Komponist schrieb im Vorfeld seiner Rostocker Aufführung „Sphinxenklänge und Rätselkanons“ im Jahr 2011, dass es ihm „immer wichtiger“ wird, „Geräusche und Luftklänge nicht nur als ein rein klangliches Phänomen zu nutzen, sondern diese Techniken mit strengen Formen zu verbinden“. Insofern hat es Erdmute Blach verstanden, den Faden aufzunehmen. Vielleicht wäre die Ausstellung eine Möglichkeit der ersten unmittelbaren Begegnung zwischen der Malerin und dem Komponisten. Heute Abend jedenfalls gelingt es nicht, denn beide Künstler stehen zeitversetzt und an unterschiedlichen Orten im Licht der Öffentlichkeit. Wie Erdmute Blach hier wird Jörg Widmann in sechs Stunden, d.h. auch abends in New York auftreten, um sein Stück „Fantasie für Klarinette solo“ uraufzuführen.
Neben den angesprochenen Kompositionen, die akustisch inspirierend für bestimmte Bilder gewesen sind, wären weitere zu nennen, die zu entdecken ich Ihnen überlassen möchte. Auch die Vorliebe der Malerin, musikalische Spielanweisungen für ihre Bildtitel zu wählen, wartet auf Ihr Augenmerk, verehrte Gäste. Stark rhythmisierte Tusche- sowie Kohlezeichnungen und Collagen ergänzen eine beeindruckende Schau in einem dafür passenden Haus. Glückwunsch, liebe Erdmute, und herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Thomas Kumlehn – zur Eröffnung der Ausstellung Malerei & Konstrukte in der Hochschule für Musik und Theater Rostock am 11.04.2014